Darf man "Liebe Alle" als Anrede in E-Mails verwenden? Nach meinem letzten Blog "Beste Grüsse" erreichten mich Anfragen zur korrekten Begrüssung - und zwar in E-Mails. Während in Briefen mit "Guten Tag" und "Sehr geehrte/r" eine gewisse Einheitlichkeit gegeben ist, fühlen sich Schreibende in E-Mails verunsichert. Besonders die Anrede "Liebe Alle" scheint zu polarisieren. Die Befürworter finden die Anrede praktisch, die Gegner können sich damit nicht anfreunden.
Ich persönlich mag "Liebe Alle" nicht. "Alle" ist mir zu allgemein. Ich fühle mich nicht angesprochen. "Liebe alle, wer hat den blauen Ordner gesehen?" Ich sicher nicht. "Liebe Alle, wer hilft nächste Woche den Keller aufräumen?" Hm, naja, ich weiss nicht. Irgendwer wird schon helfen. Es sind ja alle angesprochen. Aber was für ein Unterschied, wenn ich lese: "Liebe Katrin, hast du den blauen Ordner gesehen?" Ich würde rasch antworten, weil ich mich angesprochen fühle. "Sorry, nein, den hab ich auch schon lange nicht mehr gesehen. Im Regal steht er nicht. Aber frag doch mal bei Nina. Vielleicht weiss sie etwas."
Auch angesprochen fühle ich mich, wenn ich zu einer bestimmten Gruppe gehöre, also: "Liebe Texterinnen, wer hat den Duden zuletzt benutzt?" Immerhin ist dann meine Abteilung gemeint. Es sind nicht die Grafikerinnen und nicht die Mitarbeitenden der Reinigung. Es sind Texterinnen. Und in diesem Fall nur die weiblichen. Und da gehöre ich dazu. Und genau deshalb braucht es eine richtige Anrede: Um jemanden persönlich anzureden. Liebe Sonja. Lieber Peter. Ja, ich meine dich.
Wie spricht man viele an?
Aber was tut man als Schreibende/r, wenn man eine Gruppe mit mehreren Leuten ansprechen möchte? Man spricht das Gemeinsame an. Das, was die Menschen, die man anspricht, miteinander verbindet. Vielleicht sind alle Texterinnen und Texter. Oder Turnerinnen und Turner. Oder Bernerinnen und Berner, Sängerinnen und Sänger, Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Gemeinschaft zeichnet sich also durch etwas Gemeinsames aus. Das ist beim "Liebe Alle" nicht gegeben. Zudem gibt es "Liebe Alle" grammatikalisch gar nicht. Als unbestimmtes Zahlpronomen können wir es vor einem Nomen verwenden, zum Beispiel "Morgen haben alle Mitarbeitenden frei". Oder wir verwenden es als selbstständiges Satzglied, zum Beispiel "Morgen haben alle frei". Und zudem wird "alle" ausnahmslos kleingeschrieben . Ausser am Satzanfang.
Unterschiedliche Personengruppen ansprechen
Vielleicht möchten Sie jetzt einwenden, was denn zu tun sei, wenn Sie ganz unterschiedliche Personengruppen ansprechen möchten, die nichts miteinander gemeinsam haben? Wenn Sie zum Beispiel in Outlook mit dem Abwesenheitsassistenten alle informieren möchten, dass Sie in den Ferien sind? Dann gibt es doch noch einen gemeinsamen Nenner, nämlich die Tatsache, dass Ihnen all die verschiedenen Personen eine E-Mail schreiben. Und da die Nachricht des Abwesenheitsassistenten den Empfänger nicht in einer Sammel-E-Mail erreicht, können Sie ihn auch mit "Liebe Mailerin, lieber Mailer" ansprechen. Das ist zwar nicht die eleganteste Lösung, aber wenigstens nicht "Liebe Alle". Oder Sie verwenden gar keine Anrede, sondern nur die Anredeform "Guten Tag. Danke für Ihre E-Mail etc." Das ist zwar unpersönlich, aber das schlichte "Guten Tag" wirkt unverkrampft.
Wie oft begrüssen?
Und da sind wir bereits bei einer weiteren Frage, die mich erreicht hat: Muss man in einem E-Mail-Dialog immer wieder eine Anrede setzen? Meine Gegenfrage lautet dann jeweils: "Wie machen Sie es beim Telefonieren" Wenn Sie jemanden anrufen, dann begrüssen Sie den anderen vielleicht mit:" Guten Tag Herr Müller, hier ist X." Und Herr Müller antwortet: "Guten Tag Herr X, gut dass Sie sich melden." Danach nimmt das Telefongespräch seinen Lauf, ohne dass immer wieder gegrüsst wird. Vielleicht rufen Sie aber am Nachmittag nochmals an. Dann grüssen Sie erneut "Guten Tag Herr Müller, hier ist nochmals X" oder so ähnlich. Genauso ist es im E-Mail-Verkehr: Das Eröffnungsmail und die erste Antwort enthalten je eine Begrüssung. Geht die Konversation dann relativ zügig hin und her, verzichtet man auf weitere Anreden. Der Verlauf ähnelt dann einem schriftlichen Telefongespräch. Liegen jedoch mehrere Stunden, Tage oder eine Nacht dazwischen, dann wird wieder begrüsst. Und noch etwas: Im Gegensatz zu den Anreden in Briefen ist man bei den E-Mails freier. Nehmen wir an, Sie hatten heute am frühen Morgen mit Herrn Müller E-Mail-Kontakt. Am späteren Nachmittag melden Sie sich nochmals. Nun können Sie Tageszeit einbeziehen: "Guten Nachmittag" oder "Guten Abend Herr Müller". Auch wenn Herr Müller die E-Mail erst am nächsten Tag lesen sollte, spielt das keine Rolle. Entscheidend ist, dass Sie nochmals an das Gespräch vom Vormittag anknüpfen.
Hallo
Dann wäre noch die Frage, ob die Anrede "Hallo" erlaubt ist. In E-Mails ist es - vorausgesetzt, man ist mit dieser Person vertraut und verletzt dabei auch keine Hierarchien. Das heisst zum Beispiel: Als Bewerber/in auf eine Lehrstelle empfiehlt es sich nicht, seinen zukünftigen Chef mit "Hallo" zu begrüssen. Auch wenn dieser noch so cool wirkt. Haben Sie jedoch einen guten Draht zu der anderen Person, dürfen Sie in E-Mails ruhig auch mal "Hallo Frau Huber" schreiben. Und der Person abschliessend "Schöne Ferien", "Ein schönes Wochenende" oder was auch immer wünschen.
Letztlich ist es wie mit den Grussformeln. Entscheidend ist, ob der Kontext passt. Und ob Sie sich mit Ihrer Wahl der Anrede wohlfühlen.
Haben Sie Fragen zur schriftlichen Kommunikation in Ihrem Unternehmen?
Dann schreiben Sie an info@katrinbeer.ch.
Bis zum nächsten Mal
Katrin Beer
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